Arbeitsschutz, Compliance, Digitalisierung

Wie rechtssicher sind Online-Unterweisungen?

So integrieren Sie digitale Lernformen ganzheitlich in Ihre Prozesse im Arbeitsschutz

6 Minuten30.07.2021

von Dipl.-Kfm. Thomas Krassmann

Unternehmen müssen im Arbeitsschutz diverse rechtliche Bestimmungen und Pflichten einhalten. Dazu gehört, die Belegschaft regelmäßig und ausreichend zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auszubilden und zu unterweisen. Spätestens seit Corona wird dieser Pflicht teilweise in Form von Online-Unterweisungen auf digitalem Weg nachgegangen. Doch: Ist das wirklich rechtssicher, bzw. worauf müssen Sie achten, damit Ihre Prozess rund um die Online-Unterweisung den Anforderungen des Gesetzgebers genügt?

Was muss eine Online-Unterweisung leisten?

Eine Online-Unterweisung kann nur rechtssicher sein, wenn sie den selben Zielen genügt, denen auch eine Präsenz-Unterweisungen verpflichtet ist. Durch sie sollten die Mitarbeitenden: 

  • ausreichend über Gefährdungen und Belastungen, die mit dem jeweiligen Arbeitsplatz bzw. der jeweiligen Tätigkeit zusammenhängen, unterwiesen werden  

  • mit ihrer Arbeitsaufgabe verbundene Risiken richtig einschätzen können und geeignete Maßnahmen zur Gegenabwehr ergreifen  

  • über die Fähigkeit verfügen, ihre Arbeit selbstständig und sicher auszuführen  

  • gewohnheitsmäßig sicher handeln und für den Arbeitsschutz motiviert werden  

Wer darf unterweisen?

Die DGUV Information 211-005, in der die Kriterien für Online-Unterweisungen als Ergänzungen zu klassischen Unterweisungen festgelegt sind, ist explizit an die Führungskräfte adressiert. Die Vorgesetzten müssen entscheiden, wann z. B. „Leerlaufzeiten“ für eine digitale Unterweisung genutzt werden können. Gleichzeitig können Routinebesprechungen, Rüst- und Einrichtungszeiten genutzt werden, um den Einsatz von PSA zu üben oder den Umgang mit bestimmten Gefahrstoffmengen zu besprechen. Aus diesem Ansatz heraus lassen sich zwei Merkmale ableiten:

  1. Zum einen bedarf es eines Vorgesetzten, der nicht nur hierarchisch festgelegte Weisungsbefugnis besitzt, sondern gleichzeitig als „Lernbegleitung“ fungiert.  

  2. Zum anderen sind die Lerninhalte dorthin zu verorten, wo sie hingehören, an den Arbeitsplatz und in die tägliche Routine von Arbeitskräften.

DGUV Information 211-005

Es ist „dem Unternehmer freigestellt, wen er mit der Durchführung der Unterweisung beauftragt. Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte oder ähnlichen Personen mit Stabsfunktion sollten jedoch nicht allein mit der Durchführung der Unterweisung beauftragt werden. Dieser Personenkreis ist beratend tätig, ihm fehlen disziplinarische Vollmachten und Weisungsrechte. Gleichwohl ist es sinnvoll, diesen Personenkreis bei der Vorbereitung oder der Behandlung einzelner Themen zu beteiligen.“

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Sind gekaufte Online-Unterweisung rechtssicher?

Um die Rechtslage eindeutig zu verstehen und entsprechen zu handeln ist eine klare Differenzierung zwischen Schulung und Unterweisung wichtig.  

Schulung

Eine Schulung enthält ein standardisiertes Ausbildungsziel und einen Befähigungsnachweis, bezogen auf die vermittelten Wissens- und Handlungskompetenzen, die bei der Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sind. Deshalb können Ausbildungen auch von externen Bildungsanbietern angeboten werden und sind zunächst unabhängig von den spezifischen Qualifikationsanforderungen eines Unternehmens oder eines Arbeitsplatzes. 

Unterweisung

Durch Unterweisungen im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes (§ 12) informiert der Arbeitgeber die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit in ausreichender und angemessener Weise. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf die Gefährdungen des Arbeitsplatzes oder den Aufgabenbereich der Mitarbeitenden ausgerichtet sind. 

Eine Unterweisung bezieht sich ausschließlich auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder eine Tätigkeit und die damit verbundenen Gefährdungen. Externe Autorinnen und Autoren von Online-Unterweisungen sind weder Vorgesetzte, noch kennen sie den spezifischen Arbeitsplatz. Aus diesem Grund kann eine erworbene Online-Unterweisung auch niemals rechtssicher sein, obwohl dies von verschiedenen Anbietern immer wieder behauptet wird.

Rechtssicher wird eine Online-Unterweisung erst durch die Einbindung in den Arbeitsprozess und die analogen Kommunikationsprozesse.

Rechtssicherheit durch flankierende Prozesse

Die Gefährdungsbeurteilung ist eine gesetzlich vorgeschriebene Methode, die Gefährdungen, denen die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind, zu ermitteln und durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen. Sie spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Rechtssicherheit von Online-Unterweisungen geht, denn: Sie ist die Grundlage aller Unterweisungsmaßnahmen.  Aus ihr werden die erforderlichen Maßnahmen abgeleitet, von denen die persönlichen Schutzmaßnahmen in Form von Kenntnissen und Verhaltensregeln in Betriebsanweisungen festgeschrieben werden. 

Ein Blick in die Rechtsprechung:  

Hessisches LAG: 28.10.2010 Aktenzeichen: 5 TaBV 43/10: Eine Betriebsvereinbarung mit allgemeinen Regelungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz (§ 12 ArbSchG) ohne vorherige Gefährdungsanalyse (§ 5 ArbSchG) ist unwirksam. 

Die richtigen Rechtsbereiche 

Grundlage für Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen sind die jeweiligen Rechtsbereiche, in denen spezielle Gefährdungen explizit genannt und bereits konkrete Schutzmaßnahmen vorgeschlagen werden. Dort stehen verbindliche Vorgaben zu den Methoden der Unterweisung, also ob eine Online-Unterweisung zulässig ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen und mit welchen flankierenden Maßnahmen. Nachfolgend sind exemplarisch einige Beispiele genannt:

  • Verhalten im Gefahrenfall / Brandschutz

    § 4 ArbStättV: Der Flucht- und Rettungsplan sowie das entsprechende Verhalten bilden die Grundlage für diese Unterweisung. Das Verhalten ist darüber hinaus in angemessenen Zeitabständen zu üben.  

  • Erste Hilfe

    § 24 DGUV Vorschrift 1, DGUV Information 204-005: Hier hat sich das Erste Hilfe Plakat als Unterweisungsgrundlage etabliert. Wie ein Notruf zu erfolgen hat, lässt sich digital vermitteln, die Handhabung eines Defibrillators sollte geübt werden. 

  • Persönliche Schutzausrüstung

    § 3 PSA – Benutzungsverordnung, § 29 - 31 DGUV Vorschrift 1: Ist es aufgrund der Gefährdungssituation erforderlich, bestimmte PSA zu tragen, so muss deren korrekter Gebrauch vermittelt und ggf. auch geübt werden (PSA Kat. II). 

Rechtskonformes Hybrid Learning

Klassische Unterweisungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind, wenn sie rechtskonform durchgeführt werden, praktisch umgesetztes Hybrid Learning. Hier handelt es sich um rechtlich geforderte Lernphasen, die aus Präsenz-, Übungs- und Selbstlernphasen bestehen, aber nicht vorgegeben und meist auch nicht planbar sind. Ihr Einsatz ist abhängig von Personen, Situationen oder Ereignissen. Die Zuteilung der Inhalte zu Präsenz- und Online-Lernformen kann zunächst ganz pragmatisch erfolgen: Wissensinhalte online – Handlungskompetenzen persönlich.

Kriterien für Online-Unterweisungen

In der DGUV Information 211-005 „Unterweisung - Bestandteil des betrieblichen Arbeitsschutzes“ werden die einzelnen Kriterien aufgelistet, die erfüllt sein müssen, damit Online-Unterweisungen als Ergänzung zu den klassischen dialogorientierten Unterweisungen eingesetzt werden dürfen.  

Damit muss jedes Unternehmen für sich festlegen, wie diese Kriterien erfüllt werden und welche Inhalte in einer Online-Unterweisung und welche Inhalte durch einen persönlichen Dialog und mit geforderten Übungen zu vermitteln sind. Die Vorgaben sollten anschließend im Rahmen einer Verfahrensanweisung verbindlich festgeschrieben werden. 

  1. Die Inhalte müssen arbeitsplatzspezifisch aufbereitet sein. 

  2. Das Verständnis muss geprüft werden.  

  3. Ein Gespräch zwischen den Mitarbeitenden und den Führungskräften muss darüber hinaus jederzeit möglich sein.  

  4. Eine rechtssichere Dokumentationsmöglichkeit muss sichergestellt sein.  

  5. Alle Lernzielbereiche müssen erreicht werden.  

  6. Alle Zielgruppen müssen erreicht werden 

Fazit

Beim Thema “Online-Unterweisung im Arbeitsschutz” geht es um die Frage, welche Kombination aus Präsenz- und Online-Lernen sich innerhalb eines Unternehmens umsetzen lässt und zu den Mitarbeitenden, den Arbeitsprozessen, den Themen und letztendlich zur Unternehmenskultur passt. Wenn sich auch vieles im rasanten Strom der Digitalisierung ändert, der Faktor Mensch bleibt eine Konstante: Die Art und Weise, wie er den Inhalten Bedeutung beimisst und diese Bedeutung als Grundlage seiner Handlungen versteht, hat sich über Jahrtausende nicht verändert, ganz gleich, ob diese Inhalte auf einer Höhlenwand gemalt oder über Bits und Bytes auf einem Smartphone konsumiert werden. Verantwortliche im Arbeitsschutz stehen daher vor der Herausforderung, den Menschen im Mittelpunkt zu sehen und eine sinnvolle Balance zwischen Digitalisierung und „analogem“ Austausch zu finden.  

Dies bestätigt sich auch beim Thema Rechtssicherheit: Rechtsverbindliche Verordnungstexte verlangen den persönlichen Austausch mit den Mitarbeitenden und Übungen wie z. B. das Anlegen von Schutzausrüstung. Spätestens hier wird deutlich, wo die Digitalisierung in der Mitarbeiterkommunikation ihre Grenzen hat und wie wichtig es ist, die Bedeutung und die konkreten Anteile der persönlichen Kommunikation im Qualifizierungsprozess des Unternehmens verbindlich festzuhalten. 

Thomas Krassmann ist seit mehr als 20 Jahren selbständig im Bereich der Entwicklung interaktiver und multimedialer Lernarrangements. Seine Expertise liegt unter anderem in den Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, Hygiene und Qualitätsmanagement. An der Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) ist er Dozent und bei der Foundation for International Business Administration Accreditation (FIBAA) fungiert er als Gutachter zur Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Darüber hinaus ist er in verschiedenen Bereichen für nationale und internationale Arbeitsschutzorganisationen (DGUV, IVSS) tätig.

Dipl.-Kfm. Thomas Krassmann

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