Arbeitsschutz, Gefahrstoffe

Die praktische Umsetzung der Biostoffverordnung

Biologische Gefahrstoffe verstehen und Risiken minimieren: So vermeiden Sie Infektionen am Arbeitsplatz

6 Minuten13.03.2023

von Dr. Gerald Schneider

Neben mechanischen, elektrischen, chemischen und anderen Gefährdungen sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch zum Teil erheblichen Infektionsgefahren ausgesetzt. Besonders hohe Risiken bestehen im Gesundheits- und Entsorgungswesen, der Land- und Forstwirtschaft, bei Ausführung von bestimmten Labortätigkeiten sowie bei der Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden oder Archiven. Wie finden Sie heraus, ob Tätigkeiten in Ihrem Unternehmen risikobehaftet sind, und wie können Sie Mitarbeitende effektiv schützen? Mithilfe der Biostoffverordnung (BioStoffV). In Ergänzung zu den unspezifischen Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes dient die Biostoffverordnung dazu, den Verantwortlichen rechtssicheres Handeln und somit größtmögliche Sicherheit für die Arbeitnehmenden zu gewährleisten.

Definition Biostoffe

Definition Biostoffe

Bis auf sehr besondere Ausnahmen werden unter dem Begriff Biostoffe Bakterien, Viren und Pilze – hier besonders die Schimmelpilze – sowie bestimmte Parasiten zusammengefasst.

In diesem Artikel erfahren Sie, was Sie über die Biostoffverordnung wissen müssen. Sie lernen anhand eingänglicher Beispiele, wie Sie die Einordnung biologischer Gefahrstoffe in Risikogruppen vornehmen, wann Sie die Biostoffverordnung anwenden müssen und welche Schritte bei einer Gefährdungsbeurteilung Biostoffe anstehen.

Biostoffe und ihre Risikogruppen: Nicht alles ist gefährlich

Biostoffe können ungefährlich, gefährlich und sehr gefährlich sein. Deswegen hat die Gesetzgebung jeden Biostoff einer von vier Risikogruppen zugeordnet, die Verantwortlichen als Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung dienen.

Biostoffe der Risikogruppe 1 Beispiele

Unter die Risikogruppe 1 fallen jene Organismen, die typischerweise keine Erkrankung hervorrufen. Dazu gehören z. B. ganz normale Umweltmikroben, die harmlos im Boden, im Wasser oder auch in unseren Wohnungen vorkommen und nur in äußerst seltenen Fällen Infektionen verursachen. Die Biostoffverordnung kennt keine Risikogruppe 0, sodass selbst die ungefährlichsten Biostoffe der Risikogruppe 1 angehören.

 

Biostoffe Risikogruppe 2  Beispiele

Für den Arbeitsschutz relevanter sind die Biostoffe der Risikogruppe 2, die durchaus Krankheiten hervorrufen können, wobei aber die entstehenden Gesundheitsprobleme in der Regel gut beherrschbar sind. Hierunter fallen z. B. die Grippeviren, die Erreger von Mumps, Masern, Diphtherie, Lungenentzündung, Erkältungserreger, Hepatitis A und die meisten Schimmelpilze.

Biostoffe Risikogruppe 3  Beispiele

Biostoffe der Risikogruppe 3 sind z. B. Milzbranderreger, Tetanus, Tuberkulose oder Vogelgrippe. Bei diesen Biostoffen sind in der Regel besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, denn sie rufen schwere Erkrankungen hervor, die sich auch in der Bevölkerung verbreiten, typischerweise aber wirksam behandelt werden können.

Risikogruppe 3**: Einen Sonderstatus haben die Stoffe der Risikogruppe 3, die nicht durch die Luft (also durch Aushusten, Ausatmen, Niesen etc.) übertragen werden können. Hierunter fallen z. B. Hepatitis B und C, der EHEC-Erreger (eine Darmkrankheit), aber auch HIV und das Tollwut-Virus. Sie gehören zur Sondergruppe 3** und haben erleichterte Schutzmaßnahmen zur Folge.

Hepatitis-Erreger werden z. B. in der Regel nur durch Blut–Blut–Kontakte übertragen: Im Gesundheitswesen wird daher ein besonderer Fokus auf die möglichst komplette Vermeidung von Nadelstichverletzungen gelegt, es sind aber z. B. keine Maßnahmen zur Vermeidung einer Inhalation erforderlich (z. B. Absauganlagen, hohe Luftwechselraten).

Biostoffe der Risikogruppe 4 – Beispiele

Brandgefährlich sind indessen die Erreger der Risikostufe 4, da hier die Behandlung mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Die gute Nachricht: In diese Kategorie fallen „nur“ die Erreger von Lassa, Ebola und anderen Tropenkrankheiten, die normalerweise in Europa nicht vorkommen. In der Regel müssen sich daher nur international agierende Unternehmen, die den Arbeitsschutz in den betroffenen Ländern verantworten, mit ihnen beschäftigen. Eine Ausnahme ist aber z. B. der Arbeitsschutz in Tropenkrankenhäuser oder auch für Geschäftsreisen in kritische Gebiete.

Wann ist die Biostoffverordnung anzuwenden?

Achtung:

Das Auftreten von Biostoffen an sich ist noch kein Auslöser für die Anwendung der Biostoffverordnung. Dies ist erst bei erhöhter Infektionsgefährdung nötig.

Ein Busfahrer fällt beispielsweise nicht unter die Biostoffverordnung, selbst wenn er in den Herbst- und Wintermonaten den Grippe- und Erkältungsviren stark ausgesetzt ist. Denn: das sind die Mitfahrenden im Bus auch, weshalb der Gesetzgeber hier ein Abgrenzungskriterium gesetzt hat: Die Arbeitssituation muss eine das allgemeine Lebens- bzw. Infektionsrisiko überschreitende Höhe aufweisen. Auch bei Bürotätigkeiten gilt die BioStoffV nicht, obwohl immer „Keime“ auf der Computertastatur vorhanden sind, was aber auch im Homeoffice oder bei haushaltstypischen Arbeiten (z. B. in der Küche) gegeben ist.

Gefährdungsbeurteilung Biostoffe

Für die Auswahl der richtigen Schutzmaßnahmen ist eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes und nach § 4 der Biostoffverordnung (BioStoffV) notwendig. In der Gefährdungsbeurteilung wird das aktuelle Maß der Gefährdung für die Beschäftigten festgestellt und anschließend mit den Schutzmaßnahmen belegt, die geeignet sind, die erkannten Gefährdungen zu minimieren.

Grundsätzlich sind in der Gefährdungsbeurteilung Biostoffe u. a. folgende Fragen zu klären:

  • Welche Tätigkeit wird ausgeführt?
  • Welche Biostoffe treten dabei auf und zu welcher Risikostufe gehören sie?
  • Treten zusätzliche Effekte wie Toxinbildung oder Sensibilisierung durch die Biostoffe auf?
  • Welche Expositionswege bestehen (z. B. Einatmen, Nadelstichverletzung, Hautkontakt u.a.)?
  • Wie hoch und / oder wie häufig ist die Exposition?
  • Gibt es besonders gefährdete Mitarbeiter (z. B. Schwangere)?

Aus diesen Informationen werden dann Schutzmaßnahmen abgleitet, die in der Praxis auf Wirksamkeit geprüft und im Erfolgsfalle als Regelmaßnahmen im Betrieb bzw. für die kritischen Tätigkeiten eingeführt werden.

Betrifft die Gefährdungsbeurteilung gezielte oder ungezielte Tätigkeiten?

Stärke und Modalität der Schutzmaßnahmen unterscheiden sich je nach Art der ausgeführten Tätigkeit. Bei sogenannten „gezielten“ Tätigkeiten sind die jeweiligen Biostoffe bekannt und die Tätigkeit ist direkt auf den Biostoff ausgerichtet, etwa bei genetischen Untersuchungen eines bestimmten Bakteriums. Außerdem ist die Expositionshöhe in etwa abschätzbar. Derartige Tätigkeiten findet man z. B. in der mikrobiologischen Forschung oder bei der Herstellung von Produkten mittels geeigneter Mikroorganismen.

Die meisten Tätigkeiten sind jedoch „ungezielt“, d. h. sie sind nicht auf den Biostoff ausgerichtet. Die Bakterien, Viren oder Pilze sind gewissermaßen nur „Beigabe“, sie treten zwar auf, sind aber nicht das Ziel der Tätigkeit. Beim Entleeren von Abfällen können die Mitarbeitenden mit ggf. schädigenden Biostoffen mehr oder weniger „zufällig“ in Kontakt kommen. Das Ziel der Tätigkeit ist aber immer noch das Leeren von Mülltonnen und nicht der Umgang mit den z. B. auftretenden Schimmelpilzen.

Eine Schimmelpilzsanierung ist dagegen gezielt, denn hier geht es in erster Linie um den Pilz. Diese Tätigkeitsdefinitionen kann gelegentlich zu ungewohnten Abgrenzungen führen: Das Versetzen eines Bieransatzes mit Hefe ist eine gezielte Tätigkeit, die Kontrolle des Gärvorganges jedoch nicht. Im ersten Fall werden die Hefen gezielt eingesetzt, im zweiten sind sie nur im Vorbier enthalten.

In der Regel sind die Schutzmaßnahmen für gezielte Tätigkeiten strenger und in den Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) klarer und eindeutiger formuliert. Die Grundannahme ist dabei, dass ein gezielter Umgang mit Biostoffen risikobehafteter ist als der ungezielte Kontakt. Es gibt daher bei gezielten Tätigkeiten fast keine Variationsmöglichkeiten. Bei ungezielten Tätigkeiten gibt es je nach Sachlage und Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung mehr Wahlmöglichkeiten, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, die Gefährdungen zu beherrschen.

TRBA: Technische Regeln helfen

Auch die Biostoffverordnung kennt wie andere Arbeitsschutzverordnungen ein untergeordnetes Regelwerk: die Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA). Dieses Regelwerk ist für die Anwendenden eine Hilfe, die geeigneten Schutzmaßnahmen festzulegen. Die TRBA sind weit mehr als „freundliche Hinweise“. Die Biostoffverordnung fordert die Verantwortlichen explizit auf, die jeweils zutreffenden TRBA anzuwenden. Kommen Sie dieser Pflicht nach, können Sie sich wiederum auf ein hohes Maß an Rechtssicherheit verlassen. Werden die TRBA korrekt umgesetzt, dürfen Arbeitgeber und Verantwortliche im Sinne der Pflichtenübertragung davon ausgehen, dass sie ihre von der Gesetzgebung auferlegten Pflichten erfüllt haben.

Wichtig sind vor allem die TRBA 400 und andere TRBA der 400er-Reihe, denn sie helfen den Verantwortlichen, die Gefährdungsbeurteilung Biostoffe korrekt zu erstellen. Hier finden die Arbeitsschutzfachleute eine echte Hilfe.

Ergänzt werden diese Regeln durch tätigkeitsspezifische TRBA, wie z. B. die TRBA 100 für Labortätigkeiten, die TRBA 213, 214 und 220 für die Abfallentsorgung, Abfallbehandlungsanlagen und Abwassertechnische Anlagen, die TRBA 230 für die Land- und Forstwirtschaft, die TRBA 250 für das Gesundheitswesen und einige andere.

Die TRBA allein reicht nicht aus

Gelegentlich muss auch auf das Regelwerk der Unfallversicherungsträger (UVT) zurückgegriffen werden. So gibt es z. B. keine TRBA für die Schimmelpilzsanierung in Gebäuden, dafür aber die DGUV Information 201-028 „Gesundheitsgefährdungen durch Biostoffe bei der Schimmelpilzsanierung“. Sie enthält entsprechende Angaben für die praktische Umsetzung. Vor einer Gefährdungsbeurteilung ist zunächst zu recherchieren, ob und welche Hilfen es gibt. Sich nur auf die TRBA zu beschränken, reicht nicht.

Schritt für Schritt die Biostoffverordnung umsetzen

Checkliste: Wie gehe ich praktisch vor, wenn ich die BioStoffV umsetzen will?

  • Anwendungscheck

    Klären Sie zunächst, ob die jeweilige Tätigkeit wirklich unter die Biostoffverordnung fällt. Ein sicherer Indikator für die notwendige Anwendung der BiostoffV ist, wenn eine TRBA oder eine UVT-Regel für die Tätigkeit gilt. Eine Liste mit Tätigkeiten findet sich auch unter Kap. 3.4 der TRBA 500 bzw. in den Veröffentlichungen der Unfallversicherungsträger.

  • Abgrenzung der Tätigkeit

    Ergibt sich die Pflicht, die BioStoffV umzusetzen, so sollten Sie im 2. Schritt die jeweilige Tätigkeit klar abgrenzen. Die Tätigkeit „Klärwerksarbeit“ ist zu unspezifisch. Eine sinnvolle Tätigkeitsabgrenzung wäre z. B. „Arbeiten im Rechenraum“, „Labortätigkeit“, „Reinigungsarbeiten am Belebtbecken“. Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von auszuführenden Gefährdungsbeurteilungen, die dann wiederum sinnvolle und an die Situation angepasste Schutzmaßnahmen für die jeweiligen Teiltätigkeiten generieren.

  • Recherche

    Ist das geschafft, muss die Literatur gewälzt werden: Welche TRBA gilt für welche Tätigkeit? Gibt es ergänzende UVT-Regelungen? Sind schon Muster-Gefährdungsbeurteilungen oder andere Schriftwerke vorhanden, die den Einstieg erleichtern? Im eben angeführten Beispiel kämen z. B. die TRBA 100 für Laboratorien und die TRBA 220 für abwassertechnische Anlagen, sowie natürlich die TRBA der 400er-Reihe zur Anwendung. Die TRBA 100 kann man aber erst heranziehen, wenn die Labortätigkeit als eigene Tätigkeit identifiziert wurde. Eine Allgemeintätigkeit „Klärwerksarbeit“ würde dies nicht ergeben.

  • Zuständigkeiten klären

    Spätestens jetzt ist zu klären: Wer macht die Gefährdungsbeurteilung? Die Beurteilungen sind nach BioStoffV fachkundig zu erstellen und die TRBA 200 hat hohe Anforderungen an diese Fachkunde. Ist dies durch Mitarbeitende leistbar? Ist das Wissen vorhanden? Oder sollten lieber externe Fachkundige beigezogen werden? Auf diese Fragen müssen Sie die richtigen Antworten finden, da die Behörden Ihre Gefährdungsbeurteilung anderenfalls als nicht rechtskonform zurückweisen könnten.

  • Praktische Umsetzung

    Ist dies alles vorbereitet, geht es in die praktische Umsetzung: Gefährdungsbeurteilung, Ableitung der Schutzmaßnahmen, Prüfung der Wirksamkeit, Einführung der Maßnahmen im Regelbetrieb, Unterweisungen, Arbeitsmedizinische Vorsorge falls notwendig, periodische Überprüfung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen, periodische Überprüfung, ob die einst erstellte Beurteilung überhaupt noch mit den aktuellen Tätigkeitsmerkmalen übereinstimmt.

Grundmaßnahmen zum Schutz vor Infektionen

Unabhängig davon, was Ihre Gefährdungsbeurteilungen ergeben werden: Sie müssen immer für alle relevanten Bereiche die wichtigsten Grundmaßnahmen nach § 9 BioStoffV sicherstellen. Sie sind die Basis und können auch dann umgesetzt werden, wenn die Feinheiten der Gefährdungsbeurteilung noch in Arbeit sind (was typischerweise einige Zeit dauern kann).

  • Die Arbeitsplätze und Arbeitsmittel müssen in einem sauberen Zustand sein und regelmäßig gereinigt werden.
  • Fußböden und Oberflächen von Arbeitsräumen und Arbeitsmitteln müssen leicht zu reinigen sein. I. d. R. bedeutet dies, dass sie glatt, ohne Vertiefungen und Risse und beständig gegen Reinigungsmittel (und ggf. gegen Desinfektionsmittel) sein müssen.
  • Es sind Waschgelegenheiten und Trocknungsmöglichkeiten vorzusehen.
  • Wird Arbeitskleidung benötigt, so müssen vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidemöglichkeiten vorhanden sein und die Arbeitskleidung ist regelmäßig zu reinigen.
  • Unterweisungen und Betriebsanweisungen nach § 14 BioStoffV sind in fast allen Fällen ebenfalls erforderlich. Sie entfallen nur bei Tätigkeiten mit ausschließlich Risiko-1-Organismen, die auch keine Toxine bilden und / oder sensibilisierende Wirkungen entfalten.

Dies sind die absoluten Grundmaßnahmen, die jeweils durch die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung zu ergänzen sind. Aber diese einfachen Maßnahmen sind der Einstieg in eine sichere Arbeit, die Ihre Mitarbeitenden schützt, Produktionsausfällen und hohen Krankenständen vorbeugt.

Dr. Gerald Schneider ist Diplom-Biologe und Fachkraft für Arbeitssicherheit. 20 Jahre war er Fachverantwortlicher bei der B.A.D. GmbH für die Umsetzung der Biostoffverordnung. Von 2011 bis 2015 war er im Ausschuss für Betriebssicherheit am Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie im Arbeitskreis Arbeitsgestaltung und Arbeitsforschung beim Bund der Arbeitgeberverbände (BDA). Darüber hinaus ist er Autor verschiedener Bücher zu Gefahr- und Biostoffen und veröffentlicht sein Wissen in verschiedenen Zeitschriften.

Dr. Gerald Schneider

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