Compliance

Compliance und Sorgfaltspflicht: Das neue Lieferkettengesetz

Geltungsbereich, Vorgaben und die Bedeutung des neuen Gesetzes für deutsche Unternehmen

8 Minuten02.07.2021

Das “Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz)”, kurz gesagt das Lieferkettengesetz, sorgt aktuell für Gesprächsbedarf. Am 11. Juni 2021 hat der Bundestag das Lieferkettengesetz verabschiedet und dazu beigetragen, dass Unternehmen stärker zur Einhaltung der Menschenrechte sowie Standards in den Bereichen Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und Umweltschutz verpflichtet werden - und zwar von Anfang an und die Zulieferer mit eingeschlossen.

Sorgfaltspflichtengesetze in der Europäischen Union

Ähnlich wie bereits andere EU-Staaten zuvor, reagiert auch die deutsche Bundesregierung auf die Vorgaben aus den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP). Das Ziel: Eine menschenrechtskonformere Weltwirtschaft zu schaffen. Da die Europäische Union aktuell noch an einer gesamteuropäischen Umsetzung arbeitet, haben viele Länder eigene Aktionspläne entwickelt, die nun in nationalen Gesetzen aufgegriffen werden. Durch dieses Vorgehen unterscheiden sich die Geschwindigkeiten bei der Umsetzung und die Inhalte der bisherigen Entwürfe auf nationaler Ebene teilweise sehr deutlich: Als einige der ersten Länder haben die Niederlande und Frankreich bereits entsprechende Richtlinien eingeführt, während sich Deutschland noch mitten im Prozess befindet und in Portugal beispielsweise dagegen erst noch an einem generellen Umsetzungsplan gefeilt wird.

Die unterschiedliche Herangehensweise der einzelnen Länder sorgt für nationale Unterschiede in der Ausübung der Bestimmungen: In Frankreich schreibt die Gesetzgebung eine umfassende Sorgfaltspflicht bezogen auf Umwelt und Menschenrechte für große Unternehmen vor, das niederländische Gesetz bezieht sich bisher zunächst allein auf Kinderrechte und -arbeit. Übergeordnete Ziele, wie etwa Wettbewerbsnachteile abzubauen, könnten durch diese verschiedenen gesetzlichen Rahmen gefährdet werden

 

Deutschland

Frankreich 

Niederlande

Gesetzesname

Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechts-verletzungen in Lieferketten (Sorgfalts- pflichtengesetz) (Arbeitsitel)

Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et entreprises donneuses d'ordre

Wet van houdende de invoering van een zorgplicht ter voorkoming van de levering van goederen en diensten die met behulp van kinderarbeid tot stand zijn gekomen

Kurztitel

Lieferkettengesetz

Loi de vigilance

Wet Zorgplicht Kinderarbeid

Gültigkeit

sukzessiv ab 2023

seit 2017

seit 2019

Verpflichtend für

deutsche Unternehmen mit 3000 oder mehr Beschäftigen (ab 2024 mit 1000 oder mehr Beschäftigten) und deren unmittelbare Zulieferer (anlassbezogen auch mittelbare Zulieferer)

französische Unternehmen mit 5.000 Beschäftigten in Frankreich (10.000 bei internationalen Unternehmen), auch Tochtergesellschaften, Subunternehmen und Lieferanten

jedes (niederländische und ausländische) Unternehmen, das Waren und Dienstleistungen in den Niederlanden anbietet

Wichtigste Aspekte

Schutz der Menschenrechte 

Einhaltung des Verbots von Kinder- und Zwangsarbeit

Einhaltung grundlegender Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltstandards in Lieferketten

Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette 

Verletzungen müssen beseitigt, entstandene Schäden behoben werden

Schutz von Kindern/ Kinderrechten in der Lieferkette 

Verbot von Produkten/ Dienstleistungen, die Kinderarbeit beinhalten 

Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten vor jenen Produkten

Das Lieferkettengesetz in Deutschland

Vorgesehen ist, dass das neue Lieferkettengesetz ab 2023 für alle Unternehmen mit 3.000 oder mehr Beschäftigten gültig sein soll, ab 2024 wird die Unternehmensgröße auf 1.000 Mitarbeitende herabgesetzt. Dabei werden neben den Mitarbeitenden auch die Zulieferer in die Verantwortung genommen und sind von den gesetzlichen Bestimmungen betroffen. Hier wird zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern unterschieden: Während die Unternehmen durch das Gesetz auch für ihre unmittelbaren, also direkten Zulieferer verantwortlich sind und bei Verstößen sofort gehandelt werden muss, gilt dies bei mittelbaren Zulieferern nur anlassbezogen, beispielsweise nach einer Beschwerde. Mittelbare Zulieferer umfassen dabei Unternehmen der gesamten Lieferkette und damit auch deren Verstöße.

Das Gesetz fokussiert sich auf die Sorgfaltspflichten von Unternehmen, die Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte und damit verbundene Aspekte beseitigen und verhindern sollen. Dazu zählen

  • das Leben und die Gesundheit aller Beteiligten, vor allem auch von Kindern, besser zu schützen

  • die Einhaltung des Verbots von Diskriminierung, Folter, Sklaverei, Kinder- und Zwangsarbeit zu verbessern.

Weitreichende Folgen für die internationale Zusammenarbeit dürften Richtlinien zur Umsetzung von Arbeitsschutz, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit haben. Zusätzlich zu diesen Pflichten sind auch Umweltschutzmaßnahmen enthalten, die die Gesundheit der Beteiligten garantieren sollen, wie etwa die Vermeidung der Verunreinigung von Trinkwasser. 
 

Das EU-Lieferkettengesetz

Am 23.02.2022 hat die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf für eine gesamteuropäische „Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit“ vorgelegt.

Sollte das EU-Lieferkettengesetz dem Entwurf entsprechend in Kraft treten, werden Unternehmen der EU dazu verpflichten, ihr globales Handeln im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten, die Vermeidung von Kinderarbeit und die Ausbeutung von Arbeitnehmern sowie Auswirkungen auf die Umwelt nachhaltig zu gestalten. Lieferketten werden für Verbraucher transparenter und Unternehmen in der EU agieren unter denselben Wettbewerbsbedingungen. Der Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes formuliert konkrete Forderungen an Unternehmen. So müssen Unternehmen die Sorgfaltspflicht in ihren Unternehmensleitlinien etablieren. Dazu sollen die Geschäftsleitungen für die Überwachung und Umsetzung sorgen. Zunächst müssen Unternehmen den Schaden ermitteln, den ihr Wirtschaften auf die Umwelt oder die Menschenrechte ausübt. Dieser soll dann verhindert, reduziert oder abgeschwächt werden. Von Unternehmen eingerichtete Kontrollfunktionen sollen stetig die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen überwachen. Zudem müssen Unternehmen ein Beschwerdeverfahren einrichten und auch öffentlich zur Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht Stellung nehmen.

Der Gesetzesvorschlag unterscheidet zwischen zwei Gruppen von Unternehmen, die von der Sorgfaltspflicht betroffen sind:

  • Gruppe 1: EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von 150 Mio. € weltweit
  • Gruppe 2: andere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in ressourcenintensiven Branchen tätig sind, mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von 40 Mio. € weltweit

Ebenso betroffen sind Unternehmen aus anderen Staaten, die in der EU agieren und einen Umsatz der Gruppen 1 und 2 in der EU erwirtschaften.

Folgen für das deutsche Lieferkettengesetz

Der vorgelegte Gesetzesentwurf geht über das Deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Das bedeutet, dass Deutschland sein Lieferkettengesetz anpassen muss, sollte das Gesetz in dieser Form vom Europäischen Parlament und Rat verabschiedet werden. Es werden dann z. B.  Behörden festzulegen sein, die die Umsetzung des Gesetzes beaufsichtigen. Das deutsche Lieferkettengesetz wird darauf angepasst werden müssten, dass Unternehmen dazu ihre Tätigkeit mit dem Ziel des Pariser Klimaschutzabkommen (Erderwärmung maximal 1,5 Grad) in Einklang bringen.

Kritik am Lieferkettengesetz

Bereits im Vorfeld hat es Kritik am deutschen Gesetzesentwurf gegeben, und auch nach der Verabschiedung des Entwurfs gibt es eine Reihe von Beanstandungen aus unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reihen. Die entstehenden Wettbewerbsnachteile etwa stellen einen der Kritikpunkte dar, da es nur Sinn mache ein solches Gesetz einzuführen, wenn auch ähnliche internationale Vorgaben existierten. Dazu werden praktische Aspekte angeführt, wie die kurze Zeit zur Umsetzung der Richtlinien, unklare Definitionen - welche Bestandteile umfasst eine Lieferkette, wie sehen Vorgaben für komplexere Industrien aus - und auch Unklarheiten bei der praktischen Umsetzung der Vorgaben und deren Zertifizierung werden kritisiert. Letztendlich gibt es auch wirtschaftliche Bedenken: Anders als in Frankreich gilt das deutsche Gesetz schon für kleinere Unternehmen, die eine Einhaltung des Gesetzes zu stark belaste, da die Kosten für die Umsetzung und Überprüfung viel zu hoch seien. Generell seien die neuen Belastungen durch das Gesetz kleineren Unternehmen nicht zuzumuten.

Auf der anderen Seite gibt es auch Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die genau das Gegenteil anführen. Die Grenze von 3.000 beziehungsweise von 1.000 Beschäftigten sei noch zu hoch angesetzt und würde zu viele Unternehmen von den Verpflichtungen ausnehmen. Gleichzeitig sehen sie das Gesetz in seiner jetzigen Form zu stark abgeschwächt und ohne relevante Auswirkungen auf die bestehende Situation: Es greife zu kurz, da es keine Lösung für Menschenrechtsprobleme in der Lieferkette hinter den unmittelbaren Zulieferern präsentiere und sehe keine Strafen, sondern allein Bußgelder vor. Auch der Umweltschutz sei im Gesetz nur unzureichend verankert, da er zu stark an die Menschenrechte gekoppelt und nicht als eigenständige Position vertreten sei.

Auswirkungen auf die Unternehmen

Auch wenn die Kritik sicher noch Einfluss auf das letztendlich verabschiedete Gesetz haben und es noch zu einigen Änderungen kommen wird, ist klar:  Die Auswirkungen auf das Compliance Management von Unternehmen werden groß sein.

Mit dem Blick auf den Gesetzgebungsprozess können Unternehmen bereits jetzt aktiv werden und sich auf das neue Gesetz einstellen. Die fünf wichtigsten Maßnahmen zur Vorbereitung und Umsetzung des Lieferkettengesetzes formuliert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

  • Verabschiedung einer Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte

  • Risikoanalyse: Durchführung eines Verfahrens zur Ermittlung nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte

  • Risikomanagement (inkl. Abhilfemaßnahmen) zur Abwendung potenziell negativer Auswirkungen auf die Menschenrechte

  • Einrichten eines Beschwerdemechanismus

  • Transparente und öffentliche Berichterstattung 

Fazit und Ausblick

Das neue Lieferkettengesetz wird betroffene Unternehmen vor neue Herausforderungen stellen. Diese können bereits jetzt proaktiv handeln und erste Aspekte zur Einhaltung der geforderten Vorgaben umsetzen und so den Aufwand reduzieren und die verbleibende Zeit sinnvoll nutzen. 

Wie umfangreich das Gesetz schlussendlich ausfällt und wie stark die Eingriffe in bestehende Prozesse und Lieferketten einzelner Unternehmen dann sind, wird sich zeigen müssen. Unternehmen, die sich frühzeitig  auf die kommenden Veränderungen und neuen Verpflichtungen einstellen oder bereits nach den bald geltenden Vorgaben handeln, werden es sicherlich einfacher haben – und davon in Zukunft profitieren. 

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